Die "Story" der ASSEN-Bahn in Nürnberg Ziegelstein

Die "Story" der ASSEN-Bahn in Nürnberg Ziegelstein

VORWORT

Stefan Böhm, der Gründer und sportliche Leiter der Radport-Abteilung des ASN-Pfeil-Phönix, bat mich dem Verein Fotos und Informationen aus meinem Archiv zur Geschichte der ASN-Radrennbahn zur Verfügung zu stellen. Gerne erklärte ich mich dazu bereit, denn auch ich bewundere den enormen Einsatz und den Idealismus mit dem Stefan, die jahrzehntelang   vergessene Rennbahn wieder zum Leben erweckt. Deshalb möchte ich ihn   mit meinen historischen ASN-Bahn-Fotos auch unterstützen. Nicht einfach  war es dazu auch,  einen entsprechenden Rückblick  zur Geschichte der Bahn zu schreiben, denn es gibt – so weit ich das beurteilen kann  - leider keinerlei verbindliche und identische  Unterlagen oder Belege. Ich habe trotzdem versucht einen möglichst realistischen Rückblick zu verfassen, wobei ich mich nur auf Erzählungen und frühere Gespräche mit längst verstorbenen  Radsport-Funktionären und Sportlern berufen kann.

Ich war bereits ab meinem siebten Lebensjahr „Stammgast“ auf der ASN-Bahn nachdem mein zehn Jahre älterer Bruder Georg ab 1952  im Trikot des „RV Union Nürnberg 1886“  als Amateur im Sattel saß. So kam ich indirekt zum Radsport, der mich bis heute noch ebenso fasziniert und begeistert wie damals. 

Ich habe von 1952 bis 1967 kaum eine Veranstaltung  auf der ASN-Bahn versäumt. Ab Beginn der 1960er-Jahre war ich als jüngster Kampfrichter des Bezirks Mittelfranken  bei sämtlichen Bahn- und Straßenrennen der Region im Einsatz. Hinzu kam ab 1967 meine Arbeit für die Presse. Bis 2021 habe ich 55 Jahre lang über regionalen, nationalen und internationalen Radsport für diverse Tageszeitungen und Fachzeitschriften fotografiert und berichtet. Nachdem es die Radrennbahn am Reichelsdorfer Keller inzwischen leider nicht mehr gibt freut es mich sehr, dass nun auf der „ASSN“ wieder neues Radsport-Leben eingekehrt ist! Ich wünsche Stefan Böhm und seinen helfenden Sportfreunden weiterhin ein  erfolgreiches Schaffen!                                 (Manfred Marr, 2023)

Die ASN-Bahn -  1949 bis 1967,  Mekka der Bahnspezialisten:

Ihre schönsten Rennen - darin sind sich alle  ehemalige Nürnberger Rad-Asse einig - fuhren sie nicht auf der Bahn am Reichelsdorfer Keller und auch nicht „Rund um die Nürnberger Altstadt“, sondern von 1949 bis 1967 auf der ASN-Bahn in Ziegelstein! „Wir trainierten zwar auch regelmäßig am  Reichelsdorfer Keller, doch unsere größten Siege und die Meistertitel holten wir alle auf der ASN-Bahn“, erzählt der zwölffache deutsche Meister Fritz Neuser und er fügt hinzu: „Die tolle 400m-Piste in Ziegelstein war mit ihren glatten Belag und den flacheren   Kurven viel schneller als die schwere Reichelsdorfer Bahn, die allerdings für Steherrennen  ideal war“. Frankens Radsportler liebten die ASN-Bahn , auf der sich rund 20 Jahre lang die Räder drehten. Unvergessen bleiben allen älteren Radsportlern und ihren Fans bis heute vor allem die traditionellen „Mittwochabend-Rennen“ bei denen die  Asse der heimischen  Vereine  bei Trainingsrennen  jede Woche ihr Können zeigten.

Doch wann und wie entstand einst die ASN-Radrennbahn?
 

Die 1904 erbaute Radrennbahn am Reichelsdorfer Keller  hatte den Krieg erstaunlich gut überstanden so dass ab 1946 bereits wieder Steher-Rennen durchgeführt werden konnten.  Doch die Nürnberger Radsportvereine RC Schwalbe 1897, Touren Club Nürnberg 1912, RV Union 1886, der Ring Nürnberger Rennfahrer und auch ihr gefürchteter Kontrahent und Nachbarverein RC-Herpersdorf 1919 wünschten sich für die klassischen  Bahndisziplinen eigentlich  eine  besser geeignete schnellere Bahn  als die schwere und raue Piste „am Keller“. Beim Ring Nürnberger Rennfahrer  (RNR)  erinnerte man sich daran, dass in den 1930er-Jahren bis zum Kriegsbeginn  regelmäßig rasante  Radrennen auf der Aschenbahn um den Fußballplatz des ASN-Pfeil gefahren wurden. Der unvergessene Nürnberger Radsport- Sprecher und Journalist Sigmund Durst (SIDU) schlug deshalb vor auf dieser Aschenbahn eine 400m-Betonpiste zu errichten. Hans Heckel, ein großzügiger radsportbegeisterter  Nürnberger Kaufmann unterstützte diese Idee spontan. Er schilderte dem ASN-Pfeil den Wunsch der Radsportler und bat um die Zustimmung  des Fußball-Vereins. Unter den  ASN-Funktionären und Mitgliedern gab es damals auch erfreulich viele Freunde des Radsports. Man wurde sich deshalb sehr schnell einig und bot den Radsportlern sogar die Möglichkeit an ihre Räder  und   sonstiges Renn-Material in Boxen auf dem Vereinsgelände unterzubringen. Einzige Bedingung der ASN-Vereinsleitung   war es , dass man sich mit den Radsport- und Fußballterminen immer gut abstimmen musste. Es durfte sich kein Fußballspiel mit einer Radveranstaltung überschneiden.  Doch auch das sollte für beide Seiten nie ein Problem sein.

 

Schnell gelang es den Radsportvereinen ihre Sportler und Funktionäre zum Einsatz und  zur  Mitarbeit beim Bau der neuen Rennbahn zu gewinnen. Ohne jegliche  staatliche, oder städtische Unterstützung kamen  viele Freiwillige der Vereine nach Ziegelstein   um mit anzupacken. Die Regie führten dabei die damaligen Vereinsbosse Willi Altmann (RV Union), Walter Käppner sen. (RC Schwalbe), Fritz Scheller ( Touren Club Nürnberg) und Andreas Oed, der 1. Vorsitzender des RNR der zugleich Bezirksvorsitzender des  Radsports in Mittelfranken war.

Auch einige Nürnberger Firmen und Gönner konnten sie gewinnen, um das Projekt finanziell zu unterstützen. Der große Radsport-Idealist Hans Heckel griff – wenn es sein musste -  auch immer wieder mal in seine private Kasse um fehlendes  Baumaterial und die nötigen Maschinen zu besorgen. Er war zudem auch ein genialer Meister im  Organisieren: Rund 16 000 Kubikmeter Bauschutt, der in den Nachkriegsjahren im zerbombten Nürnberg sehr reichlich vorhanden war, ließ Hans Heckel  nach Ziegelstein liefern für  den nötigen  Unterbau der erhöhten Kurven und für die Zuschauerränge. Vier  Monate lang ging es rund auf der „Bahn-Baustelle“, wobei auch Funktionäre und  Mitglieder des ASN-Pfeil die Radsportler mit Rat und Tat unterstützten.

 

 

Im Mai 1949 war es dann soweit, man freute sich auf die erste Veranstaltung.  Leider fehlte jedoch ausgerechnet zur Bahneröffnung das passende schöne Wetter. Doch trotz   Regenschauern harrten 12 000 (!)  begeisterte Zuschauer geduldig aus, bis die Bahn wieder trocken genug war um das erste Rennen zu starten. Die vielen Fans waren gekommen, um den berühmten  Ex-Weltmeister der Steher Walter Lohmann und den Dortmunder „Sechstage-Kaiser“  Gustav Kilian im Kampf gegen die beliebten Lokalmatadore Karl KittsteinerGeorg Umbenhauer und Georg Voggenreiter zu sehen. Nach vielen spannenden Duellen   fuhr der Herpersdorfer Karl Kittsteiner als Sieger des 1.Steher-Laufes die erste Ehrenrunde auf der ASN-Bahn. Der zehnfache Deutsche Meister Walter Lohmann aus Bochum gewann jedoch erwartungsgemäß das große Finale  um den „ASN-Preis“ von Nürnberg. 

Der Herpersdorfer Altmeister Karl Kittsteiner erzählte oft von seinen Rennen der Steher in Ziegelstein: „ Auf der die ASN-Bahn musste an unseren  Rädern die Übersetzung begrenzt werden und der Rollenabstand zu den Motorrädern der Schrittmacher vergrößert werden  um die Geschwindigkeit zu limitieren,  denn die  Piste war gerade  sechs Meter breit bei einer  Kurvenüberhöhung von nur 20 Grad. Die  Steherrennen waren damals   nicht  ungefährlich“, sagte er. Bis zum sechsten  Rennjahr ging trotzdem alles erstaunlich gut. Doch 1954 gab es einen schweren Unfall. Bei hohem  Tempo stürzten Karl Kittsteiner und sein Schrittmacher  nach einer Kollision mit einem anderem Gespann in der Zielkurve. Kittsteiner hatte Glück und wurde dabei nur leicht verletzt, doch sein Schrittmacher Egon Schaaf schleuderte bei hoher Geschwindigkeit mit der schweren Maschine über die Barriere in die Zuschauer. Er und mehrere verletzte Zuschauer mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Nach diesem schlimmen Unfall wurden Steherrennen auf der ASN-Bahn nicht mehr durchgeführt. Doch Jahr für Jahr gab es auf der ASN-Bahn interessanten und guten Bahnrennsport zu sehen. Die Sprinter, die Verfolger und die vielseitigen Bahnspezialisten  waren bei  Länderkämpfen, Deutschen  und Bayerischen Meisterschaften ganz in ihrem Element. Sehr oft waren auch prominente Radsportler aus dem Ausland zu Gast. Selbst Italiens großes Radsport-Idol Gino Bartali, der 1938 und 1948 die Tour de France gewonnen hatte,  war 1949 einmal auf der ASN-Bahn am Start!

Dreimal war die ASN-Bahn  Austragungsort Deutscher Meisterschaften. Bereits im ersten Rennjahr 1949 fand in Ziegelstein die DM der Profis  im Zweier-Mannschaftsfahren über 100 Kilometer statt. Die beiden Bielefelder Werner Holthöfer und Günter Pankoke holten sich damals vor gut besuchten  Rängen  den Titel.  1954  wurden sämtliche Bahn-DM-Titel  - außer Steher – auf der ASN-Bahn erkämpft. Dabei konnten rund 10 000 fränkische Radsportfans  ihre erfolgreichen Lokalmatadore kräftig anfeuern.  Das  spannende  Finale der Tandem-Meisterschaft riss die begeisterten Zuschauer förmlich von den Sitzen, als die beiden Herpersdorfer Fritz Neuser und Werner Löw in einem rasanten Finish den Titel erkämpften.  Ebenso groß war der Jubel, als Fritz Neuser wenige Stunden später dazu auch  die DM in der 4000m-Einer-Verfolgung gewann. Für eine echte Sensation sorgte damals  der Bahnvierer des RV Union 1886 Nürnberg, der mit  Gustav Offenhäußer, Ralph Gmehling, Willi Näser und Roland Schwarz  Deutscher  Vize-Meister  über 4000m wurde!

 

 

Echte Leckerbissen für die Radsportfans gab es auf der ASN-Bahn in den 1950er- und 1960er-Jahren regelmäßig. Die zahlreichen Länderkämpfe der besten deutschen Bahn-Asse gegenNationalteams  aus Dänemark, Österreich, Italien, der Schweiz und aus Holland waren immer sehr gut besucht. Unvergessen bleibt vor allem ein  Länderkampf  im Jahr 1956 bei dem Italien mit seinen  Superstars  Valentino Gasparella als Olympia-Sieger  und Weltmeister Leandro Faggin vor Deutschland und der Schweiz souverän die Gesamtwertung gewann.  Zur deutschen Nationalmannschaft zählten an diesem Renntag  der Schweinfurter Günter Ziegler und die Herpersdorfer Fritz Neuser, Willi Renn und Werner Löw.